Einer Witwe am Grabe ihres Sohnes

Stiller ist's im Haus der Klage,
Nun das kranke Herz gebrochen,
Nun es mit dem letzten Schlage
Letztes Lebewohl gesprochen.
Jedes Auge blickt in Nacht,
Um den Frieden flehn die Seelen,
Um die kühlenden Juwelen,
Um der Tränen milde Macht.

Still ist's, — durch die öde Stätte
Zieht der bleiche Todesengel,
Dass er eine Krone bette,
Die er zögernd riss vom Stängel.
Wessen ist das teure Haupt?
Wes' die Frucht, die ernteschwere? —
Kalter Schnitter, welche Ähre
Hat dein Todesarm geraubt?

Eine Frucht? — Ach nimmer, nimmer!
Nenn' es eine Frühlingsblüte,
Einen Zweig, des holder Schimmer
Nach dem Ostermorgen glühte.
Und sein Ostermorgen kam.
Wollt ihr klagen, dass verloren
Was — in's ew'ge Licht geboren —
Früh den Weg des Lichtes nahm?

Treue Mutter, darfst du weinen
Um den Liebling deiner Schmerzen?
Nur das Leben trennt; es einen
Sich im Tod die milden Herzen.
Zu dem Vater hat der Sohn —
Geist zum Geiste — sich erschwungen;
Wenn die Harfe ausgeklungen,
Durch die Himmel zieht ihr Ton.

Ja zurück den theuern Erben
Hast dem Vater du gegeben;
Denn die Treue teilt im Sterben
Wie sie je getheilt im Leben.
Hier die Saat, die Ernte dort!
Du im Glauben, Er im Frieden!
Was die Liebe nie geschieden,
Trägt der Himmel ewig fort!

Autor: Georg Scheurlin

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