Bräsig

Ich bück mich oft nach Dreck von andern,
warum auch nicht, ich hab ja Zeit.
Ich senk den Kopf, lass Blicke wandern,
zuhaus, auf Reisen bis nach Flandern,
heb auf, was da liegt weit und breit.

Nur manchmal wird’s mir zu beschwerlich,
wenn Typen, die noch rüstig sind,
den Müll nicht halten können, ehrlich,
da werd ich wütend, wie ein Rind.
Inkontinenz, verpackungsmäßig,
mit anzusehn, das macht mich bräsig.

Herr Junior quengelt an den Kassen,
er möchte lieber Mellows Marsh
statt Brokkoli und Möhren fassen.
Mama wird wütend, kann's nicht lassen,
ihr ganzes Image ist im Arsch.

Da steh ich in der Warteschlange
und kann nicht aus der Zeugenschar.
Mir wird in diesem Aufstand bange.
Ganz weit von hier mir's wohler war.
Wenn alle Kunst - erziehungsmäßig -
vergeblich, macht mich dieses bräsig.

Beim Ampelstopp brüllt mich ein Karren
gleich neben mir mit Tönen voll.
Der Typ hat aufgedreht die Schnarren,
als müsst nur er auf Grün hier harren.
Für ihn ist lauter Schmalzklang toll.

Ich möchte schleunigst von der Stelle.
Was soll ich in dem Schundgedrön?
Krawall beschleunigt Puls auf's Schnelle.
Schlagader schwillt, das ist nicht schön.
Wenn hart im Streß, lautstärkemäßig,
werd ich vor lauter Stärke bräsig.

Ein Kerl schlägt eine Frau vor allen,
auf offner Straße, in der Stadt.
Die Frau lässt sich's auch noch gefallen,
heult zwar, doch weiter Hiebe knallen
auf sie, die längst genug schon hat.

Mir kocht das Blut. Ich geh dazwischen.
Der Kerl fährt rum. Er faucht mich an.
S' wär seine Frau, die könnt er wischen.
Niemals vor mir, sag ich ihm dann.
Übt wer an Schwächern machomäßig,
kann ich nicht anders und werd bräsig.

Die Zeitung schreit in großen Lettern
raus in die Welt: Das Griechenpack
lebt von uns Deutschen! Wild woll'n wettern
die Schreiberleut, die fernen Vettern,
wir zahlten schon zu lang den Lack.

Für mich ist das grundtief gelogen.
Zwar ham auch Griechen Mist gemacht,
doch nicht allein, ehrlich gewogen,
hat's unsre Banken reich gemacht.
Wahrheit ist selten, meinungsmäßig.
Was soll's? Ich bin schon länger bräsig.

Das Telefon verlangt mich dringend.
Ich gehe ran, werde beschwor'n:
Der größte Hit! Sie brauchen zwingend
unser Produkt, sonst händeringend
sind sie für alle Zeit verlor'n.

Ich drück den Penner weg mit Wonne.
Der hat mir grade noch gefehlt.
Werbeanrufer in die Tonne,
sonst Tau mein Stimmungspflänzchen mehlt.
Kommt unerwünscht was, anrufmäßig,
bin ich im besten Fall nur bräsig.

Die Bahn fährt mich in vollen Zügen.
Ich steh nicht gern. Wie hältst es du?
Da sind schon Plätze, doch es trügen,
Taschen und Beutel dort, die lügen -
behaupten, hier wär alles zu.

Gern wende ich mich dann dorthin,
wo jemand sich ein Nest wollt bauen.
Da frag ich dann mit treuem Sinn,
ob wer mich braucht zum höher Stauen.
Wo Leute fremdeln, rücksichtsmäßig,
spiel ich mit voller Absicht bräsig.

Autor: Alfred Mignon

Mehr Gedichte zum Nachdenken

Als Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Käufen.