Apokalypse
Trümmerfelder, wo einst das Leben pulsierte.
Autor: Veronika Kowoll
Eisenträger ragen wie Stachel gen Himmel.
Ein Meer aus Schutt und Asche überdeckt weite Flächen.
Kein Kinderlachen befreit von der erdrückenden Stille.
Selbst die Vögel liegen mit geschlossenen Augen im Staub.
Die Schnäbel weit geöffnet, qualvoll verreckt am angstvollen Schrei.
Wie zum Spott ignoriert der Wind die bleierne Ruhe.
Treibt bunte Zeitungsfetzen verspielt vor sich her.
Bedeutungslose Zeugnisse vergangener Tage.
Wer wagt schon angesichts der persönlichen Apokalypse,
die Frage zu stellen, nach dem Ende des Grauens?
So rasch keimt keine Hoffnung für ein Leben danach.
Von Gram gebeugt, nähert sich eine Männergestalt.
Er sah das Unheil aus der Ferne auf die Seinen stürzen.
Nun fühlt er sich schuldig, nicht mit ihnen gestorben zu sein.
Als das Unheil sich anbahnte spielte er für Fremde zum Tanz.
Zu groß ist sein Leid, dass selbst sein Klagen verstummt ist.Aus leeren Augen kann keine Träne mehr rinnen.
In Lethargie verharrt er, seine Geige presst er an sich.
Als wäre sie der Schlüssel zum gestrigen Leben.
Im Herzen bewahrt er, friedliche Bilder vom Morgen.
Nur langsam dringt das Geschehene in sein Bewusstsein.
Noch wehrt er sich, die Realität zu begreifen.
Türen, die er sucht, bleiben für immer verschwunden.
Verzweifelt stützt er sich auf den Rest einer Mauer.
Wie in Trance legt er seine Geige auf die Schulter.
Ist sie doch das Einzige, was ihm noch blieb.
Aufs kühle Holz presst er behutsam das bärtige Kinn.
Greift nach dem Bogen mit zitternder Hand.
Mit dem Spiel will er alles Unheil verdrängen.
Vergeblich sucht er nach der befreienden Melodie.
Aber die Lieder sind aus seinem Kopf verschwunden.
Wahllos reiht er deshalb Töne aneinander,
traktiert den Bogen, der über die Saiten springt.
Zuerst tobt er wütend, kraftvoll und laut.
Will damit den hämmernden Schmerz überdecken.
Die Geige beginnt qualvoll zu winseln und schluchzen.
Ein Aufschrei der Verzweiflung!
Er spielt wie besessen, um sich zu berauschen.
Die Disharmonie durchdringt klagend die Luft.
Nur langsam ist er fähig, das ganze Leid zu erfassen,
Bricht in Tränen aus und sinkt kraftlos zusammen.
Da legt sich eine kleine Hand auf seinem Arm.
Durch das verstaubte Hemd dringt menschliche Wärme.
Er hebt den Blick und schaut in zwei ängstliche Augen.
In ein Gesicht, am Morgen noch kindlich und rein, jetzt um Jahre gealtert.
Nie wieder kann er zum fröhlichen Tanze spielen, unbefangen und wild.
Nie wieder will er die Resonanzen spüren.
Kann es nicht mehr ertragen, wenn sie sein Herz berühren.
Irgendwann, so denkt er, lässt das Leid alle Geige verstummen.
Der Staub wird sie erdrücken, erdrücken wie sein Herz.
Er erhebt sich vom Boden.
Legt das Instrument zur Seite, wie sein gestriges Leben.
Drückt die kleine hilflose Hand tröstend an sich.
Was ist schon eine Geige gegen dieses Kind?
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